Mittwoch, 30. April 2008

Kinder der Revolution

25. April, italienischer Nationalfeiertag- das heißt, ein Tag an dem sich das ganze Land darüber freut, dass die Deutschen es verlassen haben.
Des Weiteren heißt das, ein unifreier Tag, auf den auchnoch ein Wochenende folgt- na, da schreit Siena mich doch förmlich an: "Verlass mich! verlass mich!"
Die Gelegenheit bietet sich in Form von Luca, einem sehr netten Freund aus Parma, der in der Mensa unschuldig verkündet dass er übers Wochenende nach Hause fährt um sich ein Konzert der Modena City Ramblers anzusehen/-hören. Jo, Clara und ich horchen natürlich sofort auf: jemand verlässt die Stadt?!? Nicht ohne uns!! Und ehe er sich versieht hat er nicht nur Unterwäsche zum Wechseln, sondern auch drei gackernde Erasmusstudentinnen im Gepäck. Gott sei Dank sind seine Eltern, laut eigener Aussage, entzückt von unserem Besuch, und wir sind entzückt von ihnen: 1a-Sterneköchin trifft auf liebevollen Großpapa (der Luca ist nämlich schon Onkel von vier zuckersüßen bambini, die im gleichen Haus wohnen; als wir ankommen hat der zweitjüngste, Samuele, gerade Lucas Papa und eine Carrerabahn in Beschlag, und irgendwie macht es den Eindruck, als würde der Opa mal mindestens genauso hingebungsvoll spielen wie Samuele ;-)
Nach einem sehr üppigen Abendessen (Lasagne,, selbstgebackenes Brot, Salate, Apfelkuchen etc), während dessen wir der Mama mehrmals versichern dass der Luca ein ganz Anständiger ist und in der Mensa auch ausreichend isst, machen wir uns auf den Weg zum Konzert.
Zielpublikum: junge Pseudo-Revoluzzer mit Che-Guevara-T-Shirt, die der Meinung sind, Marihuana rauchen gehöre zum guten Ton, gekämmte Haare zum Establishment und schwarz-weiße Arafat-Halstücher zur Abendgarderobe ("das kleine Schwarz-Weiße"). Das bin ich aber von Corte dei Miracoli, Philosophievorlesungen etc schon gewohnt und fühle mich deshalb sehr wohl, wenn auch etwas zu sauber und ordentlich.
Das Konzert beginnt dann auch linientreu mit einer Ansprache zum Thema Freiheit, Widerstand und Menschenrechte, die mit vom Publikum skandierten "Berlusconi, pezzo di merda"- Rufen abschließt. Auch PCI wählen gehört zum guten Ton bei Italiens Jugend.
Dann endlich die Modena City Ramblers: ich kannte die Gruppe vorher nicht, bin aber echt begeistert; eine Mischung aus Ska und irisch anmutendem Folklore-Rock, teilweise in emilianischem Dialekt; echt lustig, und schon beim zweiten Lied machen Luca, Clara, Jo und ich mit den Dreadlock-Revoluzzern Ringelpiez mit Anfassen. Die Lieder handeln alle, wie sollte es anders sein, von Freiheit, Widerstand und Menschenrechten; dann folgt eine lange Phase ruhigerer Lieder, in denen es um erschossene Partisanen in den Bergen und um deutsche Soldaten geht. Wieso grinsen mich denn alle so seltsam an?! Ich bin schließlich 2008 mit Erasmus hier, nicht 1940 mit der Hitlerjugend! Demzufolge umarme ich meine deutschen, italienischen und spanischen Freunde und freue mich mit den Italienern darüber, dass die Zeiten sich geändert haben. Das finden anscheinend auch die Modena City Ramblers toll, denn sie entschließen sich, mit den tote-Partisanen-in-den-Bergen-Hymnen aufzuhören und wieder lustige Peace-Friede-Freiheit-Lieder zu spielen. und so sind wir nach 2 1/2 Stunden des Hüpfens genauso verschwitzt wie die Che-Guevara-Revoluzzer, aber voller unheimlich positiver vibrations, und fühlen uns auch irgendwie total widerständisch ;-)!
Am nächsten Tag sind wir alle ziemlich platt, hilft aber alles nix, jetzt wird die Stadt angeguckt. Schön ist die, sehr sauber, sehr ordentlich, sehr ruhig, fast beunruhigend, ich ziehe irgendwie den Lärm und das Chaos süditalienischer Städte vor. Trotzdem gefällt Parma uns allen gut, und Luca gibt als cicerone (=Reiseführer) sein Bestes ("ja also, das ist jetzt das Baptisterium... das ist, wie ihr seht, achteckig und aus Marmor... und da sind so Tiere in den Stein gemeißelt, die bedeuten auch was, naja so mittelalterliche Symbolik halt, ihr wisst schon... gehen wir weiter!")
Auch in Parma gibt es, wie in siena und in jeder anderen italienischen Stadt/Siedlung mit mehr als 10 Einwohnern, eine Pinacoteca Nazionale, und auch in Parma ist sie voll mit Madonnen plus Jesuskind. Die Madonnen gucken immer heilig gen Himmel, und die Jesuskinder sind immer unglaublich häßlich, und nach dem zehnten Saal mit mittelalterlichen Altarbildern möchte man einen Schrei fahren lassen. Deshalb beschließen wir, bevor es soweit kommt, den elften und zwölften Saal auszulassen (wir vermuten schwer, dort sowieso nur wieder Madonnen, Jesuskinder und pausbäckige Putten anzutreffen) und stattdessen ein Eis essen zu gehen.
Danach fahren wir raus aus der Stadt und aufs Land hinaus, wo auf einem offenen Feld anlässlich des Befreiungstags ein Fest stattfindet, das unheimlich ans KOMMZ in Aschebersch erinnert, nur dass es statt Bratwurst, Pommes und Bier Parmaschinken, Ciabattabrot und Lambrusco gibt. Dort spielt auch eine Liveband; die Lieder handeln, man möchte es nicht glauben, von Freiheit, Widerstand und Menschenrechten.
Als die Sonne untergeht und die Festbesucher sich schon lambruscotrunken in den Armen liegen um freie Liebe und Widerstand und weiß der Herr was noch alles revolutionäres zu machen, beginnt ein Chor gar wunderschön und lieblich zu singen (zwar auf Dialekt, aber ich vermute stark, dass es um Freiheit und Partisanen geht)- das sind die Feldarbeiterinnen aus der Umgebung, goldige Omis mit tollen Stimmen, und jede trägt über ihrer Kittelschürze ein Halstuch mit der Aufschrift "Liberazione- ora e sempre" (Befreiung- jetzt und für immer). In jeder italienischen Rentnerin steckt auch ein kleiner Che Guevara ;-)
Am nächsten Tag bummeln wir noch ein bißchen durch die Stadt, und dann geht es auch schon wieder zurück nach Siena; zwar ohne die leckere Küche von Signora Salini, aber dafür mit einem Haufen positiv-revolutionärer Energie ;-)!
Einen lieben Gruß an alle Genossen und Mitstreiter in der Heimat und dort draußen in der globalisierten, bunt-fröhlich-friedlich gemischten Welt- eure Judith

Samstag, 19. April 2008

Dancing in the rain

Ach Leuts, was soll ich euch berichten... die letzten Tage bzw. Wochen ist in Siena nix los außer eines: Regen. Manchmal gibt es auch kleine Regenpausen, in denen es hagelt. Und der mittelalterliches-Stadtbild-Erhaltungs-Wahn der Senesen sorgt dafür, dass sich zwischen den Pflastersteinen aus dem 14. Jahrhundert (Tradition muss bewahrt werden) nicht Pfützen, sondern Schwimmbäder bilden. Klar, Asphalt ist modern und deshalb pfui.
Also lange Rede, kurzer Sinn: die letzten Tage habe ich tagsüber mit Lesen und abends mit Tanzen verbracht. Da Siena ja, wie bereits erwähnt, keine auffällig hohe Anzahl an Tanzlokalen aufzuweisen hat, hat Jose kurzerhand sämtliche Bars, Kneipen und Cafes Sienas zu Tanzflächen umfunktioniert ("ich kenn da einen, der könnte heut abend in der Bar xy einen schönen Salsa für uns auflegen!") - das hat zur Folge, dass proportional zur Anzahl der erlernten Schrittfolgen meine Sozialhemmungen sinken (ich fand das am Anfang gar nicht witzig, vor Kellnern, Barbesuchern etc rumzutorkeln!)
Naja auf alle Fälle hat Clara beim letzten Pseudo-Tanzschuppen-Besuch (eigentlich Cocktailbar) ein Video gemacht, so könnt ihr mal (fast) live meinen aktuellen Hüftwackelstand mitverfolgen.
PS: ich hab mein bestes gegeben, stundenlang beim Internetinder gewartet um das blöde Video hochzuladen, und jetzt funktioniert´s irgendwie nicht!!!! aaahhh!!! bin echt ein technischer Alptraum, tut mir leid! aber vielleicht liegt´s ja auch an dem Computer hier und bei euch klappt es, sagt mir mal Bescheid! Bacio!

Samstag, 12. April 2008

Eine neue Wohnung ist wie ein neues Leben... dadadada....

Mensch, vor lauter Reisetagebuch schreiben habe ich ganz vergessen, die ultima novità aus Siena zu erwähnen: ich bin umgezogen! Der Grund, ihr werdet es euch denken können, kommt aus den Abruzzen, heißt Natalia und ist in erster Linie eines: laut. Ihre Vorliebe für laute, störende Geräusche, eine eher laxe Auffassung von Sauberkeit, gepaart mit einer unilateral kommunistischen Einstellung zur Distribution der Einkäufe ("alles, was Judith kauft, gehört allen") reicht, abgesehen von persönlichen Problemen, allemal aus, damit so ziemlich jeder schreiend und um sich schlagend das Haus verlässt, ohne über Los zu gehen und 500 Mark einzuziehen.
Aufgrund meiner mitteleuropäisch-unpathetischen Herkunft habe ich auf das Schreien und Um-mich-schlagen verzichtet; gegangen bin ich trotzdem, im Gepäck meine sieben Sachen (die irgendwie unerklärlicherweise im Lauf der letzten sieben Monate vom Inhalt eines Koffers zu zwei Koffern, drei Taschen und einem Rucksack angewachsen sind- mein Besitz expandiert wie`s Universum!) und Clara, die auch die Flucht ergriffen hat, und das, obwohl sie als Spanierin an Lärm gewöhnt sein müsste.
Praktischerweise waren im palazzo nebenan gerade zwei Zimmer frei, und die neue Wohnung verfügt über unschlagbare Vorteile:
1) eine geräuscharme, ordentliche und liebe Mitbewohnerin: Josephine aus Berlin
2) Fenster, bei denen sich nachts nicht von innen Eiskristalle bilden
3) Bad MIT Duschwanne, was bedeutet, dass nicht nach jeder Dusche die Seife in einem Binnensee ums Waschbecken rumschwimmt
4) Fernseher ist vorhanden, aber Gott sei Dank kaputt
5) Doppelbett -> ich kann nachts wieder meinen Drang, mich diagonal ins Bett zu legen, ausleben

Feine Sache also. Ansonsten gibt`s nicht viel Neues aus dem Mittelalter-Freilichtmuseum Siena; ach ja, doch: ich habe gestern eine neue Abendlokalität entdeckt!!! Siena ist ja nicht gerade für seine Diskothekendichte bekannt, deshalb war ich hocherfreut, als mir eine Kommilitonin von einer "Coroncina" genannten Disko erzählte, in der jeden Freitag Abend notte latina stattfindet, was wiederum meinen Bemühungen, im Salsatanzen über das "ich stehe meinem Tanzpartner hüftwackelnd auf den Füßen rum"- Niveau rauszukommen, entgegenkam. Also klemmte ich mir den Tanz-Jose unter den Arm und fuhr mit dem Bus in Richtung Coroncina, wobei wir feststellten, dass die ganz schön in culo al mondo liegt ("Mensch, bist du dir sicher dass da noch was kommt?! Hier sind gar keine Häuser mehr...")
Dort angekommen blafft uns die Tante hinter der Kasse mit dem den Senesen eigenen Charme entgegen: "Welche Schule?" Wir schauen uns fragend an, sie wird ungeduldig: "Von welcher Tanzschule kommt ihr??" Wieso Tanzschule, wir sind Autodidakten, außerdem ist der Mann neben mir eine Tanzschule auf zwei Beinen, also was will sie??? 20 Euro will sie in diesem Fall, 10 pro Person. Ich verabschiede mich in Gedanken von dem T-Shirt, dass ich auf dem Markt gesehen habe, und meine noch: "Also wenn da drin jetzt nicht echt der Punk abgeht bin ich sauer!" Beim Betreten des Tanzsaals stellen wir fest, dass definitiv NICHT der Punk abgeht, genauer gesagt: es geht ein einzelnes, mitt-60jähriges Ehepaar ab, und das was sie machen sieht auch nicht aus wie Salsa, sondern wie der Beitrag zum alljährlichen Maiball. Nun gut, so haben wir wenigstens viel Platz, Jose zum Tanzen, ich, um ihm dabei auf den Füßen zu stehen. Hüftwackelnd, versteht sich.
Gegen ein Uhr füllte sich der Saal dann doch noch ganz gut, und es wurde echt sehr lustig und schweißtreibend ("was heißt hier kleine Pause, wir haben 20 Euro gezahlt, jetzt tanzen wir auch!") So um drei war ich dann aber so fertig dass er Mitleid bekam und den geordneten Rückzug anregte; an diesem Punkt stellten wir fest, wie weit in culo al mondo die Coroncina wirklich liegt, das Taxi kam nämlich nicht und wir mussten laufen (um den Spaßfaktor noch zu erhöhen hatte ich natürlich hohe "wer schön sein will muss leiden"- Fußgefängnisse an). Aber um halb fünf lag ich dann endlich diagonal in meinem feinen neuen Doppelbett; und ach, eigentlich ist der "Barone Rosso" hier im Stadtzentrum doch garnicht so verkehrt... ;-)!
Dicken Kuss und bis bald- eure Judith (mit Blase am Fuß)

Mittwoch, 9. April 2008

Deutschland für Anfänger ;-)

Ihr werdet es nicht glauben, aber die letzte Woche war ich nicht in Siena ;-)! (die Stadt hat es mir echt angetan, zumindest tut sie mir es nach jeder Reise aufs Neue an, für zwei Wochen oder so).
Diesmal hat es mich in die Heimat verschlagen: nach Familienspaß in Andalusien war Clara, meine herzallerliebste Mitbewohnerin und Freundin, an der Reihe mit kulturellen Eindrücken im fremden Land: ihr erstes Mal in Deutschland (siehe auch ihr eigener, auf meiner Seite verlinkter Blog)!!! Ihr Erwartungshorizont bezüglich Deutschland begrenzte sich bis dato auf Kälte, Oktoberfest und Sauerkraut, sie konnte also nur positiv überrascht werden ;-)!
Vor unserer Ankunft teilte uns ein in Heidelberg ansässiger Freund via SMS mit dass daheim der Frühling ausgebrochen sei, also machte ich mir ums Wetter schonmal keine Sorgen. Wir bestiegen also gutgelaunt und hemdsärmelig im sonnigen Pisa den Flieger, in welchen wir in Frankfurt/Hahn von einem Schneesturm fast wieder zurückgeschleudert wurden. Soviel zum Frühling in Deutschland.
Das suboptimale Wetter heftete sich dann auch die ganze Woche über hartnäckig an unsere Fersen, wohin wir uns auch zu retten versuchten (Heidelberg, Aschaffenburg, Würzburg, Hochspessart...); folglich haben Claras Urlaubsfotos einen leicht trüb-depressiven Touch ("also, das ist Schloss Johannisburg in Aschaffenburg, leider bißchen dunkel geworden...", "das ist die Würzburger Residenz, da hat`s leider geregnet", "das sind Judith und ich unterm Regenschirm", "oh, guck mal, der verschneite Flughafen!")
Macht aber nix, denn natürlich gleicht die Bekanntschaft mit meinen überaus sonnigen Freunden und Verwandten jede Schlechtwetterfront aus, und bayrisches Bier, Bratwurst und das Deckenfresko von Tiepolo hinterlassen auch bei Mistwetter einen bleibenden kulturellen Eindruck, findet die kleine Bomba.
Auch ich habe den Heimat-Kurzurlaub sehr genossen und einmal mehr festgestellt, dass ich mich zwar in meinem Traumland Italien sehr wohl fühle, aber mein Zuhause eben doch Deutschland ist, bei meiner Familie, meinen Freunden,  Weißbier und Amanda-hinter-der-Cafetenkasse. Freu mich schon sehr auf euch alle daheim- bis dahin drück ich euch und versorg euch weiterhin mit Neuigkeiten aus dem Land von Pizza, Pasta und politischer Anarchie (nächste Woche Wahlen- es entscheidet sich, welcher Komiker als nächstes dieses schöne Land politisch gegen die Wand fahren darf). Dies alles hier bei Mamma Miracoli ;-)! un bacio, eure Judith